Gehen wir mal ein paar – OK, es sind mehr als ein paar Jahre – in die Vergangenheit. Man hat noch Farbe in den Haaren, jede Menge Illusionen, den Schulabschluss mehr schlecht als Recht geschafft und einen Ausbildungsplatz. In meinem Fall ist es ein Studienplatz – ob es der erste oder schon anderer ist, ist auf Grund unterschiedlicher historischer Überlieferungen nicht einwandfrei nachvollziehbar.
Wir schreiben die Jahre kurz vor den 90er und die Vorgaben des Studiums sehen zwei Praxissemester in der Industrie vor. Und natürlich will man dies stolz geschwängert mit Bravur über die Bühne bringen, ungeachtet dessen, dass dort draußen die Menschen Studis mit solchen Absichten mehr als skeptisch gegenüber stehen. Also schaut man sich auf dem Markt recht erfolglos um, aber dank eines Mitbewohners der bestehenden Wohngemeinschaft – wie man sehen kann, werden alle Vorurteile bedient – wird ein Kontakt in einem Industriebetrieb, welcher vor allem in der Automobilwirtschaft Produktions-Maschinen im Lackierbereich produziert, hergestellt. Frohen Mutes geht es in das Vorstellungsgespräch, in dem es nach einer gewissen Zeit klar wird, dass der vermeidliche Personaler eigentlich ein Mitglied der Geschäftsleitung entpuppt. Gut, ab nun ist man bekannt.
Neben bohren, stanzen, schweißen, verdrahten von elektrischen Schaltschränken ist das elektrische Prüffeld ein großes Thema. Nach dem Ende wird dem mittlerweile akzeptierten Holzpantoffelträger ein studentischer Nebenjob angeboten.
Es ist die Umbruchzeit der ökologischen Prozess- und Fertigungsmethoden. So auch im Lackierbereich, einem Schwerpunkt der Firma. Und da gilt es, die etwas schwierig zu behandelnden neuen Wasserbasislacke nach der Lackierung entsprechend zielgerichtet zu trocknen. Die Idee ist es, dies mit Infrarotelementen zu erledigen. D.h. die dünnen Blechteile mit wenig, die dicken, meist durch Profilbleche verstärkte Teile mit mehr Wärme zu behandeln.
Und was ist nun die Aufgabe des oben angesprochenen Studis? Die Steller, d.h. Ansteuerungselektronik der Infrarotelemente, sind vorhanden. Ein kleines Programm zur Ansteuerung liefert der Hersteller mit, der Rest ist Neuentwicklung. Wer in diesem Umfeld sich etwas auskennt, weiß, dass zu der Zeit vor allem im deutschsprachigem Raum SPS (Speicher Programmierbare Steuerung) des Typs Siemens S5 vorherrschen.
Nun wird der Studi vom Entwicklungsleiter angesprochen, ob dieser einer der folgenden Aufgaben übernehmen mag:
a) die Ansteuerung an die SPS (S5 150U) via paralleler I/O Karten als Schnittstelle zu realisieren
b) eine Prozedur bereitzustellen, welche das Fahrzeug, dass die Anlage durchläuft, als Spiegelbild mit den thermischen Parametern, sprich aufgeheizten Infrarot-Elementen, parallel „mitfährt“
c) das Ganze auf einem Visualisierungsmonitor sowohl für die zu programmierenden Heizparametern als Eingabemasken zu realisieren als auch im Betrieb überwachen zu können, hier mit einer speziellen Einschubkarte (WF 470 in der 150U).
Einmal durchschnaufen, um dann in völliger Überzeugung der Ahnungslosigkeit dies zu bejahen, ohne genau dazu auszulassen, welcher Teil denn überhaupt angedacht sei, selber zu realisieren.
Dank eines Semesters Pascal-Programmierung fragt nun der hyperaktive und ahnungslose Neumitarbeiter in Teilzeit die umliegenden Ingenieure/innen, wie man denn eine bedingte Schleife in AWL (Anweisungsliste) auf der Steuerung implementiert. Große Fragezeichen wurden als Antwort dem Fragenden entgegengeworfen, denn weder im KOP (Kontaktplan) noch im FUP (Funktionsplan) ist das in irgendeiner Weise vorgesehen. Denn eine Steuerung fragt Schalter, der an einem Eingang (das I für Input) ab, ob dieser betätigt oder nicht betätigt ist, um dann eine Reaktion in Form eines geschalteten Ausganges (das O für Output) ein Schütz oder etwas ähnliches anzusteuern. Das Maximum der Gefühle sind irgendwelche Timer, die verzögernd dazwischen geschaltet werden. Rechenoperationen sind eher nicht Teil einer Steuerung – darum auch die fragenden Blicke …
Irgendwann macht das alles aber so viel Spaß, dass alle drei Teile umgesetzt werden. Es ist Dank des Studi-Entgeltes auch noch möglich, mit dem eingesparten Entwicklungsgeld ein Modell zu bauen. Der Schlosser hat sichtlich Spaß an dem ungewöhnlichen Auftrag und leistet ganze Arbeit.
Schnittmodell des Trockners:
Schaltschrank mit Steuerung und paralleler Schnittstelle zu den Stellern
Bedienfeld zur Parametrisierung und Überwachung der Trockner-Anlage
Typischer Programmierplatz (PG 685, Programmier-Gerät, CP/M als Betriebssystem, Programmierung in Step 5): Man beachte die gesunde Ernährung in Form eines Schokoriegels, dem aufputschenden Erfrischungsgetränk oder den auf dem Monitor schon gut zu erkennenden Hang zur Dokumentation.
Ach waren das Zeiten, mit den 5 1/4″ Disketten, beidseitig beschreibbar …
Ein Jahr später, der Studi jobbt immer noch ab und zu dort, jedoch in anderen Themen, werden die ersten zwei dieser Anlagen verkauft, einmal an Saab in Finnland und einmal an Opel in Bochum. Kurz vor der Inbetriebnahme – eine Anlage steht schon in Finnland, von der anderen steht der Schaltschrank noch im Werk – stellt sich heraus, dass die Steuerung nicht funktionieren. Ein ganzes Wochenende wird investiert, aber erst am Montag, dem Tag, an dem die Spedition den Schaltschrank abholen will, wird dank eines Speicheroszi der Fehler gefunden. Es gibt eben Bereiche, die durch standardisierte Notaus- oder Einschaltpunkte nicht genutzt werden dürfen. Davon weiß der Studi natürlich nichts, Notaus ist ja was für Weicheier …
Immerhin hat er den Fehler selber gefunden. Just in Time rauf auf den Laster. Und damit der auch weiß, wie es vor Ort zugeht, darf er mit auf die Reise, um das Teil in Betrieb zu nehmen. Es ist die Kadett E Linie in Bochum. Wer das erste Mal in den heiligen Hallen eines Produktionswerkes sich aufhalten darf und ein bisschen ein Faible dafür hat, ist das überwältigend. Der Studi bedient natürlich wieder alle Vorurteile, eine Jutetasche verrät alles, nur seine Clogs (Holzschuhe) müssen zu Hause bleiben. Die skeptischen Blicke der Installateure und Werksmeister sprechen Bände. Wenn dann das eigene Werk auch noch sofort funktioniert, hat das was. Und die skeptischen Blicke waren weg.
Hier ein Bild aus dem Prospekt des Anlagenherstellers:
Zumindest habe ich seit der Zeit einen großen Bezug zur Kommunikation zwischen Maschinen aufgebaut, um das dann über 20 mA Schnittstellen der CP 535 und sogenanntem Telegrammverkehr, dann über die CP 143 via H1 Bus (Basis Ethernet) langsam mich von den Steuerungen in Richtung Netzwerke (LAN/WAN) weiter zu entwickeln. Es ist und bleibt das Spezialgebiet mit viel Spaß.