Schraubertypen

— Einleitung —

Passionierte Motorradfahrer sind schon ein Volk für sich, aber einige von denen warten (Umgangsdeutsch: schrauben) zusätzlich gerne ihre Maschinen selbst, wenn auch mit unterschiedlicher Auffassung in der Umsetzung.


— Der perfektionistische Typ A: Vollschrauber —

Der Vollschrauber wurde bereits mit Benzin im Blut geboren, er schraubt auch da, wo es nichts mehr zu schrauben gibt. Erfolgreiche Reparaturen kennt er nicht, denn er findet an jeder Maschine etwas zu bemängeln. Er wohnt in der Werkstatt und hat keine Zeit für Nebensächlichkeiten wie Familie, Beruf oder Motorradfahren. Seine Ausstattung ist in seinen Augen auf das Nötigste beschränkt: Schraubenschlüssel in allen Größen und Ausführungen, Schweißgeräte (E, MAG, MIG, WIG, autogen), Drehbank, 12 Steckschlüsselsätze, 1,5 Tonnen Schrauben, Muttern und Kleinteile, Spezialwerkzeuge der gängigsten Motorradhersteller (inkl. JAWA, Ariel, Wanderer, Indian, Horex), Öl in allen Viskositätsklassen und diverse Ausrüstungsteile im Volumen von fünf Fachwerkstätten. Hinter dem Haus steht ein Tank mit WD 40. Die Werkstatt wird in der Regel von einer trüben 30-Watt-Birne und einer flackernden Neonröhre beleuchtet. Werkzeuge und Maschinen sind im Haufenprinzip auf alle drei Werkbänke verteilt und nur der Schrauber selbst weiß wo sich das passende Werkzeug befindet. Er arbeitet meist an mehreren Baustellen gleichzeitig, damit er nicht plötzlich ohne Beschäftigung dasteht und hat Konstruktionspläne, Teilezeichnungen oder Ersatzteillisten von allen gängigen Motorradmodellen der vergangenen 50 Jahre. Diese verstauben jedoch auf dem Dachboden, da der Vollschrauber sie im Gedächtnis abgespeichert hat. Dieser Schraubertyp ist die letzte Rettung für all diejenigen, bei denen die Motorradwerkstatt des geringsten Misstrauens kapituliert. Werbung hat er nicht nötig, da jeder Motorradfahrer mindestens einen kennt, der ihn kennt.

Inspektion

Für die kleine Inspektion (in der Sprache des Vollschraubers heißt das: Ventile einschleifen und einstellen, Vergaser reinigen und synchronisieren, Zündzeitpunkt messen, Kolben überholen, Steuerkette wechseln, Nockenwelle polieren, Getriebe erneuern, Tank versiegeln, Reifen aufziehen, Lichtmaschine und Anlasser prüfen, Getriebe-, Motor- und Kardanöl wechseln, Batterie laden, Bremsflüssigkeit erneuern, Federbeine justieren, Auspuff schweißen, Speichen nachziehen und Bowdenzüge ölen) benötigt der Vollschrauber etwa eine Viertelstunde (inkl. Zigarette drehen und rauchen).


— Der avantgardistische Typ B: Edelschrauber —

Beim Edelschrauber steht nicht die Motorradtechnik, sondern die Werkstattausstattung im Vordergrund, deswegen dient sein Zweirad in der Regel nur als Alibi für seinen Werkzeugfetisch. Die Werkzeuge sind deutsche Markenfabrikate in hochvergüteter Profiqualität und ruhen nach Einsatzgruppen getrennt im hochglanzpolierten Werkstattwagen. Eher würde der Edelschrauber sein Moped verkaufen und die Ehefrau verpachten, als auch nur einen 6er-Schlüssel zu verleihen. Mit leichtem Hang zum Autismus registriert der Edelschrauber kleinste Veränderungen in seiner Ordnung sofort, weswegen es als Besucher ratsam ist, die Hände in die Taschen zu stecken während einem die gesamte Ausstattung vom verchromten Amperemesser bis zum vergoldeten Zündkerzenschlüssel präsentiert wird. Das Motorrad des Edelschraubers (in der Regel ein hochpreisiges Dickschiff) fährt selten mehr als 120 km im Jahr, da eine Runde um den Block irgendwie immer die Feinjustierung des Diagnosegeräts verstellt.

Inspektion

Für die kleine Inspektion (beim Edelschrauber heißt das: Reifendruck, Ölstand, Bremsbeläge, Gängigkeit der mechanischen Teile) benötigt der Edelschrauber nur wenige Sekunden, da er das Ergebnis vom Laptop ablesen kann. Das regelmäßige Putzen der Werkzeuge und Aufräumen der Werkstatt zieht sich indes teils bis in die frühen Morgenstunden.


— Der dilettantische Typ C: Grobschrauber —

Der Grobschrauber wär am liebsten Typ A, ist neidisch auf die Werkstatt von Typ B und verachtet Motorradwerkstätten, die er für das personifizierte Böse hält. An sein Motorrad lässt er nur sich selbst oder einen Vollschrauber, diesem versucht er dann allerdings ständig Tipps zu geben. Der Grobschrauber ist ständig auf der Suche nach Spitzenwerkzeug, welches er in der Regel nach der Anzahl der Chromflächen, Farbe der Griffe und dem Preis auswählt. Der Zubehörhändler freut sich über den Grobschrauber, denn dieser verbiegt ständig Originalteile, was ihm dann negativ auf den Haushalt schlägt. Der Dilettant kann keinen Schraubendreher von einem Schraubenschlüssel unterscheiden und wählt aus Überzeugung zu jedem Einsatzzweck das falsche Werkzeug. In seinem Regal liegen meist originalverpackte Bremsenentlüfter, Bremskolbenrücksteller, Stirnradabzieher und Ventilläpper, da diese Sachen beim Händler zwar billig waren, er aber nicht weiß wofür die Teile gut sind. Im Wesentlichen benötigt der Grobschrauber aber lediglich Fäustel, Stromprüfer und Fahrradschraubknochen. Zu Hause ist dieser Typ eher selten, seine Freizeit verbringt er mit Besuchen in der Notaufnahme, im Baumarkt oder (falls eins seiner Projekte dann mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit im Desaster endet) auf der Wartebank der örtlichen Motorradwerkstatt.

Inspektion

Für die kleine Inspektion (in der Sprache des Grobschraubers: dreimal um das Motorrad herumgehen, am Hinterreifen wackeln, im Stand den Motor starten und mit dem Gas spielen bis die Krümmer glühen) benötigt er in etwa einen Samstagnachmittag (Krankenhausaufenthalt nicht mit eingerechnet).


— Der pragmatische Typ D: Funktionsschrauber —

Der Pragmatiker hat mit den anderen Schraubertypen nicht viel zu schaffen. Er hat eine solide Werkzeugausstattung die er sich bei verschiedensten Gelegenheiten zusammengeklaut hat. Problemfälle die er mit dem Bordwerkzeug nicht beheben kann delegiert er an die Motorradwerkstatt oder lässt Typ A auf ne Flasche Bier rüberkommen. Er verbringt mehr Zeit mit dem Lesen von Reparaturanleitungen als mit dem reparieren seiner Maschine und sieht das Schrauben mehr als notwendiges Übel denn als Leidenschaft. Auf Optik und Authentizität kommt es dem Pragmatiker nicht an: Seine Maschine muss nur funktionieren. Reparaturen schiebt er gern einige Tage mittels Kabelbinder und Tape vor sich her. Ersatzteile müssen farblich nicht passen, Hauptsache er kann sie günstig ersteigern. Wenn der Funktionsschrauber eine Panne hat, raucht er sich erst mal eine und versucht dem Problem mit Logik beizukommen. Meist schraubt er dann doch das falsche Teil ab, kann die Fuhre aber wenigstens notdürftig reparieren und wieder zusammensetzen. Er kennt seine Grenzen und macht mit seinem Motorrad keine Experimente, da die Erhaltung der Fahrtüchtigkeit seines Schätzchens oberste Priorität hat.

Inspektion

Für die kleine Inspektion (beim Funktionsschrauber: gucken was anfällt, vielleicht mal Ventilspiel messen und nach dem Öl schauen) braucht er inklusive Aufraffen, Rauchen, Probefahren und Garage fegen etwa vier Stunden.


— Der ignorante Typ E: Nicht-Schrauber —

Der ignorante Typ verachtet die Schraubertypen A-D, da es seine Pflicht als überzeugter Mittelstandswähler ist, das deutsche Handwerk zu stärken. Deswegen bringt er wegen jedem Rotz seine Kiste in die Werkstatt (bzw. lässt sie gegen Aufpreis zu Hause abholen). Doch auch bei der Wahl seines Mechanikers ist Typ E sehr pingelig, die kleine Werkstatt im Heimatort, die sich nicht auf bestimmte Modelle festgelegt hat lässt ihn müde die Nase rümpfen. Er fährt lieber stundenlang durch die Gegend um der Großwerkstatt mit 1000 qm Ausstellungsfläche den Zuschlag zu geben. Werkzeug benötigt der Nicht-Schrauber keins, er weiß nicht mal dass er unter seiner Sitzbank Bordwerkzeug spazieren fährt, da er sie noch nie heruntergenommen hat. Luftdruck, Öl, Einstellung der Außenspiegel, all das lässt der Nicht-Schrauber vom Fachmann erledigen. Hat der ignorante Typ unterwegs eine Panne nimmt er es gelassen. Dann schiebt er das Moped einfach wieder vom Campingvorplatz zurück in den Bauch seines dreiachsigen Wohnmobils und fährt nach Hause.

Inspektion

Den Begriff „kleine Inspektion“ kennt der ignorante Typ nicht und bezahlt dafür jedes Mal etwa 400 Euro.


— Der alternative Typ F: Chaosschrauber —

Mit seinem zusammengeschnorrten Werkzeug versucht er verzweifelt das Unmögliche möglich zu machen. Kein Werkzeugset ist komplett. Sein Wissen hat er aus teils leidvollen Erfahrungen gesammelt. Er verbringt viel Zeit in Foren oder mit dem Studieren von Reparaturanleitungen. Werkstätten meidet er wie der Teufel das Weihwasser.

Inspektion

Im Wortschatz des Chaosschraubers nicht vorgesehen.


— Der virtuelle Typ G: Theorieschrauber —

Der Theorieschrauber besitzt im höchsten Maße Fähigkeiten in PowerPoint und Excel und kann damit alle Probleme in differenzierten Situationen darstellen, belegen, widerlegen und formell reparieren. Anhand von zusammengetragenen Fakten erwirbt er sich das fehlende Know-How, fasst sie durch geschickte Exceltabellen zusammen und kommt dann statistisch, ggf. mit kleinen politischen, ökologischen oder religiösen Kurskorrekturen, an die Problemlösung ran. Diese theoretischen Erkenntnisse werden dann in aufwendigen Präsentationen aufgezeigt und dienen – so meint er – allen und jedem zur jedweder Problemlösung. Praktisches Wissen oder Fähigkeiten sind ihm fremd, da er in seiner virtuellen Welt – und dass ohne schwarze Finger – alles erledigen kann.

Inspektion

Seine eigene Maschine wird nach dem gleichen Muster gewartet, wobei er aus seiner opulenten Dokumentation – ISO-zertifiziert – auch herausbekommt, was für eine Maschine er bewegen würde, so er denn den Schreibtisch verlässt.


Quelle dieser Ausführung: www.2-ventiler.de